Die Situation heute
Seit 1955 ist Xinjiang ein Autonomes Gebiet der Volksrepublik China. Das bedeutet, dass die Uiguren als größte Minderheit ein Recht auf Mitbestimmung in politischer, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht haben. Auch garantiert die Verfassung ihnen Schutz ihrer Kultur, Sprache und Religion. In der Wirklichkeit sieht dies jedoch ganz anders aus.
Bereits in den 1950er Jahren verfügte Mao die Umsiedelung von Han-Chinesen aus dem Osten, um in Xinjiang die Infrastruktur, Industrie und den Abbau der wertvollen Bodenschätze zügig voranzutreiben. Heute machen die Uiguren nur noch knapp 45% der Bevölkerung aus (gut 40% sind Han-Chinesen, der Rest andere Minderheiten). Vom wirtschaftlichen Fortschritt profitieren die Uiguren nur wenig; sie werden sogar immer mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Die höchsten Posten in Wirtschaft und Verwaltung haben trotz anderslautender Bestimmungen der Verfassung meist Chinesen inne. Und selbst wenn ein Uigure eine höhere Stellung einnimmt, hat er kaum Entscheidungsgewalt. Das letzte Wort hat in allen Bereichen der chinesische Parteisekretär.
Trotz wachsender Diskriminierung verhalten sich die meisten Uiguren still und möglichst unauffällig, weil sie verängstigt sind. Allzu schnell werden sie verdächtigt, sich gegen die Staatsgewalt aufzulehnen, und wegen Nichtigkeiten verhaftet. Oft hören die Familien dann nie wieder von ihren Angehörigen: keine Erklärung, kein Wort über ihren Verbleib, manch einer bleibt für immer verschwunden.
Es gibt viele Gründe für die prekäre Lage der Uiguren in Xinjiang:
Besuch einer Moschee ist nur zu bestimmten Zeiten erlaubt und nur in der Moschee des eigenen Wohnbezirks, nicht in einem Nachbarort;
Ausweiskontrolle vor der Moschee, Betreten unter 18 Jahren grundsätzlich verboten;
Videoüberwachung in der Moschee;
Imame müssen ihre Freitagspredigten Regierungsstellen zur Überprüfung vorlegen;
Fasten im Ramadan für Beamte und Schüler verboten, Restaurants werden gezwungen, auch tagsüber zu öffnen;
von Regierungsseite wurden im Ramadan Alkohol-Trink-Wettbewerbe veranstaltet;
Imame mussten unter roten Fahnen zu Propagandamusik tanzen;
nur alte Männer dürfen einen Bart tragen, sonst gilt es als religiöser Extremismus;
Islam-Unterricht verboten, auch privat;
Besitz eines uigurischsprachigen Korans ist strafbar;
Pilgerfahrt nach Mekka strengstens verboten.
Viele Uiguren fühlen sich in ihrer persönlichen und religiösen Freiheit eingeengt und durch die starke Militär- und Polizeipräsens verängstigt. Vor allem jüngere Leute könnten durch die zunehmende Diskriminierung, die Verbote, Demütigungen und Ungerechtigkeiten aber auch geradezu in den Widerstand getrieben werden. Verdächtigungen, Verachtung, persönliche Erniedrigung, Perspektivlosigkeit, verdrängte Wut können die Angst überwinden und zu Auflehnung führen. Jeder Protest wird als Terror eingestuft und mit blutiger Waffengewalt niedergeschlagen. Die Medien verbreiten dann in China und international das Vorurteil, die Uiguren seien ein gefährliches, rebellisches Volk.
Im Grunde wollen sie aber nur ihre Identität als Uiguren bewahren und mit Respekt behandelt werden, so wie es die Verfassung ihnen garantiert. Sie sind stark verwurzelt mit ihrem Land und ihrer Kultur und können sich nicht vollständig assimilieren. Sie verlangen nichts anderes als Gleichberechtigung und die Einhaltung der bestehenden Autonomiegesetze.
Um die explosive Situation in Xinjiang unter Kontrolle zu halten, kennt die chinesische Regierung nur eines: den Druck erhöhen, neue "Anti-Terror-Gesetze" erlassen. Aber wie lange werden die Uiguren diesen Druck noch hinnehmen, denn: Druck erzeugt Gegendruck, und wenn er zu groß wird, kann ein kleiner Funke eine unkontrollierbare Explosion auslösen.
Die einzige Lösung, die wir, die Ilham Tohti Initiative e.V., für eine langfristige Beilegung der ethnischen Spannungen in Xinjiang sehen, ist die Vision Ilham Tohtis: ein offener Dialog zwischen Han-Chinesen und Uiguren, gegenseitiges Verständnis und ein allmähliches Aufeinander-Zugehen.
Ehe es zu spät ist.
Der neueste Stand
Seit dem Frühjahr 2017 nimmt die Überwachung der Uiguren geradezu groteske Formen an.
Nicht nur dass etwa alle 500 Meter ein Polizeiposten alles Geschehen auf der Straße kontrolliert und jederzeit Ausweis und Smartphone überprüfen kann, Wohnungen nach Hinweisen auf politische oder
religiöse Aktivitäten durchsucht und alle Uiguren grundsätzlich als potentielle Terroristen, Separatisten oder Islamisten verdächtigt werden, sucht man nun ganz besonders nach Anzeichen für
„religiösen Extremismus“. Nach Berichten von Insidern, die den Mut hatten, mit Radio Free Asia
zu sprechen, wurde eine Liste mit 75 Anzeichen für „religiösen Extremismus“ erstellt, die den Sicherheitskräften das Aufspüren von Risikopersonen erleichtern
soll. Beispiel: die Haltung beim Gebet, das Tragen eines Kopftuches, das nicht hinten, sondern unter dem Kinn gebunden ist; Personen, die keinen
Alkohol trinken, Parteifunktionäre auf der Straße nicht grüßen oder Kontakte zum Ausland pflegen. Reisepässe werden eingezogen oder verweigert, so dass selbst Wissenschaftler ihre Teilnahme an
internationalen Kongressen absagen müssen.
Laufend stellt die Polizei neue Hilfskräfte ein und laufend werden neue Gefängnisse und Umerziehungslager gebaut.
Nach zuverlässigen Quellen müssen Polizisten – zumindest mancherorts – monatlich eine bestimmte Anzahl von Festnahmen vorweisen. Überstunden werden nicht bezahlt.
Alle Bürger werden zur Überwachung ihrer Nachbarn, Freunde und Familien aufgefordert. Über neu eingerichtete Hotlines nehmen spezielle Dienststellen jeden Verdacht entgegen. Auch Polizisten und andere Staatsbedienstete sind angehalten, sich untereinander zu bespitzeln.
Kinder und Jugendliche bis 21 Jahre, die einen religiösen Namen wie Ali oder Muhammed tragen, müssen ihren Namen ändern und sich neu registrieren lassen.
Siehe auch:
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